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Hospizgeschichten

Die letzte Tasche

 

Eines Vormittags bekam ich in unserem Büro einen Anruf von einem palliativen Pflegedienst, der mir eine 65jährige schwer erkrankte Frau für eine Sterbebegleitung ans Herz legte.

Bei meiner ersten Begegnung mit Frau G. erlebte ich sie als eine sehr reflektierte, interessierte und spannende Frau. Neben vielen anderen Themen, die sie gerne noch besprechen wollte, war für sie klar, dass sie sterben wird.

Eine Sache beindruckte mich besonders. Die Tasche auf einem Stuhl im Wohnzimmer.
Ich fragte sie, ob sie verreisen möchte? Sie schmunzelte mich an und erzählte, dass in der Tasche ihr schönstes Nachthemd, Unterwäsche und warme Socken wären für ihre letzte Reise, mit dem Bestatter hatte sie schon alles besprochen.

 

 

letzte Tasche

 

Bin ich noch da?

Die alte Dame lag im Sterben. Immer wieder schlief sie ein. Es wirkte, als wechselte sie im Schlaf bereits die Welten. Doch plötzlich öffnete sie die Augen und schien hellwach, schaute sich um und fragte mit klarer Stimme: "Bin ich noch da?“

Der Kuss

 

Es war bei einer meiner letzten Begleitungen. Ich hatte eine ältere Dame betreut, die ausgesprochen liebenswert war und die ich jetzt schon wochenlang kannte. Gerne fuhr ich in die WG für Menschen mit Handicap, in der sie wohnte, und brachte jedes Mal eine kleine Freundlichkeit mit. So sagte die Dame: „Schön, dass du kommst!“. Wir waren schon bei der persönlichen Anrede „DU“ angelangt. Eines Tages fragte sie mich geradeaus: „Darf ich dich küssen?“ Ich war zunächst völlig perplex, aber ich habe es zugelassen und so begrüßten wir uns ab diesem Zeitpunkt zweimal wöchentlich mit einem Küsschen. Soviel Nähe und innere liebevolle Beziehung habe ich nicht so oft erlebt.

Die letzte Kriegspatrone

Schon einige Zeit begleitete ich einen Herrn (S), er war schon 94 Jahre alt und hatte die Lust am Leben verloren. Doch unsere Gespräche bildeten für ihn immer einen Höhepunkt der Woche. Zu den berührendsten Momenten gehörten seine Erzählungen über seine kurze Zeit im Krieg. Er war mit 17 Jahren eingezogen worden und saß in einem Armeetransportzug nach Kiel. Als über dem Zug Flugzeuge auftauchten und den Zug beschossen, schmiss sich S auf den Boden und verrichtete vor Angst seine Notdurft.

Wenige Tage später war der Krieg vorbei, und S entlud sein Gewehr und steckte die letzte Patrone in seine Jacke. "Und hier Mädchen", sagte er zu mir, "ist die Patrone", und drückte sie mir in die Hand. Ich konnte es kaum glauben, fast 80 Jahre hatte ihn diese Patrone durch sein Leben begleitet.

 

Das letzte Telefonat

Fr. D. hatte mir im Gespräch schon eröffnet, dass sie ihre palliative Sedierung für das übernächste Wochenende plane. Alle würden jetzt noch einmal zum Verabschieden kommen, und sie könne auch nicht mehr. Als ich sie erneut besuchte, saßen ihr Mann und ihre Kinder an ihrem Bett. Sie freute sich, mich zu sehen, und sagte, alle hätten sich verabschiedet und auch das letzte Telefonat hätte sie am Morgen geführt. Alles wäre besprochen und erledigt und gleich käme die Ärztin, um die Medikamentierung zu besprechen. Sie wirkte froh und erleichtert. Sie habe ihrem Mann und ihren Kindern noch Hinweise und Wünsche für ihr weiteres Leben gegeben, aber damit wäre nun alles gesagt. Nur ihre beste Freundin wolle sie noch einmal sehen. Ich verabschiedete mich und versprach während der Sedierung ein letztes Mal zu kommen und mich dann endgültig zu verabschieden.

Was für eine Frau!

 

Fußballfan

Ich begleitete Frau M. in verschiedenen Heimen, kannte sie gut und erlebte in der Begleitung so einige Höhen und Tiefen.

Unverändert erfreute sich Frau M. an einer großen Leidenschaft: Sie war ein treuer Hertha-Fan und versuchte immer das Fußballgeschehen zu verfolgen. Eines Tages war ein Wunder geschehen, Hertha gewann in Berlin gegen Dortmund! Und ich würde ihr die gute Nachricht überbringen können. Die Freude war natürlich groß und spontan sagte sie: „Dass ich das noch erleben durfte!“ Dieser Tag war ein Mittwoch und am Freitag verstarb Frau M. im Alter von 96 Jahren friedlich in ihrem Bett.

Der schönste Augenblick

In der WG, in der ich arbeite, lag eine Bewohnerin im Sterben. Ich ging jeden Tag zu ihr, doch eines Tages, als ich zu ihr kam, sah sie mich großen Augen an und lächelte. Das hatte sie schon seit Wochen nicht mehr getan. Sie schlief meist und war kaum ansprechbar und jetzt schenkte sie mir ein zauberhaftes Lächeln voller Wärme und Zuneigung, es war unglaublich!

Ich glaube, jetzt sterbe ich..

Fünf Wochen begleiteten wir die Familie schon, da rief mich die Hospizbegleiterin an und sagte, „Kannst du kommen? Ich kann leider nicht länger bleiben.“ Na klar, konnte ich. Alle Termine abgesagt und zu der jungen Frau gefahren. Sie saß auf dem Sofa, müde, erschöpft mit geschlossenen Augen, an die Schulter ihrer Schwester gelehnt. Ich nahm ihre Hand, sie sah mich zaghaft lächelnd an. „Hast du Schmerzen?“ fragte ich leise. „Ja, ein bisschen“, sagte sie und zeigte auf ihren Bauch. Ich rief die Palliativärztin an, und diese war kurze Zeit später da und gab ihr Morphin und ließ noch einige Ampullen für den Notfall da.

Noch wollte sich die Frau nicht hinlegen. Sie lehnte weiter an ihrer Schwester, und ich hielt ihre Hand. Auf einmal öffnete sie ihre Augen, sah mich müde an und sagte: „Ich glaube, jetzt sterbe ich…“

Keiner sagte ein Wort. Ich streichelte sie und dann legte ihre Schwester sie vorsichtig auf das Sofa. Nun ließ sie es zu.

Zwei Stunden später war sie für immer eingeschlafen.

Der Sohn kam aus der Kita. Mit seinem Vater ging er in das Zimmer, in dem seine Mutter lag. Zuvor hatte er aus seinem Zimmer noch sein Kummersäckchen geholt, das er jetzt zum Abschied in die Hände seiner Mutter legte.

„Ich glaube, jetzt sterbe ich…“ diese Worte werde ich nie vergessen.